Freiheit in der Reife 10. Beitrag
über die Freiheit in der Reife
Während ich gerade über einen meiner höchsten Werte nachdenke und diesen Wert „Freiheit“ wieder einmal klar definiere, erreicht mich die Nachricht einer Freundin aus meiner Ausbildungszeit.
Aurelia war eine Ordens-Schwester und begeisterte mich immer mit ihrem Mut, Ordens-Schwester zu sein und gleichzeitig Organisations-Entwicklung zu studieren und Verantwortung für weltliche Institutionen zu übernehmen. Wir haben viel zusammen erlebt, diskutiert, gelacht, nachgedacht und unsere Lebensaufträge verglichen. Leider haben wir uns aus den Augen verloren als ich mein Burnout-Projekt in Spanien verfolgte.
Jetzt erreicht mich die Botschaft, dass Aurelia nach vielen Jahren im Kloster, Ihren gewählten Orden, verlassen hat! Es geht ihr gut, sagt sie und dann erzählt sie mir den Grund ihres Austritts aus der Gemeinschaft, die ihr so viel bedeutet hatte und ihr so lange Heimat gab.
Aurelia hat mir früher einmal erzählt, nicht geheiratet zu haben, weil sie unter anderem, nicht von jemandem dominiert werden wollte. Sie hatte das zu Hause, bei ihren Eltern und bei ihren Freundinnen so erlebt. In den Orden ging sie, weil sie in der Geborgenheit der Schwestern sich auf Gott und ihre Mission konzentrieren wollte, um so ihre Kraft bestmöglich einsetzen zu können für die Welt. Ich erinnere mich, dass ich sie als sehr klar, ausgeglichen zufrieden und stark empfand. Doch was ist geschehen, dass es zu diesem Austritt aus der Gemeinschaft kam? Aurelia hat offenbar irgendwann realisiert, dass sie ja schliesslich auch im Kloster dominiert wird und sie das lange nicht war haben wollte. Die Ehe mit Gott ist für sie auch etwas Dominierendes. Sie fühlte sich mehr und mehr abhängig, unfrei und oft gepeinigt von ihren inneren Kämpfen bei Entscheidungen. Doch sie versuchte das zu unterdrücken und Gott zu gehorchen.
Sie war erstaunt, dass ich sie verstehe und ihren Bruch nicht bedaure oder verurteile, sondern als Entwicklungs-Schritt verstehe. In der Tat, ich kann diese Gefühle gut nachvollziehen und ich kann auch verstehen, dass sie so viel Zeit brauchte, dieses Empfinden zuzulassen. Es muss ein sehr schmerzhafter Prozess gewesen sein, das Kloster, den Orden, die Gemeinschaft und das Zuhause zu verlassen. Mich hat diese Vorstellung sehr getroffen. Doch Aurelia hat gut durchgedacht, viel Information gesammelt, Therapie in Anspruch genommen und Kontakt mit einem gemeinsamen buddhistischen Freund aufgenommen. Sie lernte ihrem eigenen Gefühl zu vertrauen und realisierte, wie wichtig ihr höchster Wert für sie ist und wie ernst sie die klare Definition von Freiheit nehmen muss.
Freiheit heisst ja nicht Tun und Lassen was man will, Freiheit heisst für mich z.B., sich entscheiden zu können/dürfen, wo und wie genau ich mich für etwas entscheide, Verantwortung übernehme und mich engagiere. Und genau in diesem Kontext ist Aurelia gefangen gewesen.
Der Orden, der Glaube und sogar Gott hat sie dominiert und sie immer wieder eingeschränkt und zweifeln lassen. Es war ein langer harter Weg, dieses Gefühl zuzulassen und sich letztlich zu stellen und Klarheit zu schaffen. Sie war nicht mehr frei und realisierte ihr gefangen sein. Der Glaube an Gott hat sie nicht befreit von diesen Gefühlen. Sie konnte sich eine lange Auszeit bei Freunden nehmen, um dann ihr neues Leben und ihre Aufgaben in Freiheit auszufüllen. Ich bin sehr neugierig, wie es ihr in der neu gefundenen Freiheit geht.
Ja abhängig sein, ist oft eine schwierige Sache, die man gelegentlich wählt oder eingehen muss, weil sie vorübergehend sinnvoll sein kann für eine Verantwortung , die man trägt. Doch dominiert zu werden, ist noch eine Stufe mehr und ein Behinderung für die eigene Entwicklung. Als Frau ist man dazu immer in Gefahr, dominiert zu werden. Wir haben noch nicht gelernt, wie genau wir Familie, Kinder, Kariere und die Persönlichkeit Das ist gesellschaftlich so tief verankert, so lange Zeit schon etabliert, dass es sehr schwer ist, dem wirklich auf den Grund zu gehen und zu verstehen, was es heisst, was es mit unserer Persönlichkeit macht und unserer Entwicklung und wie wir das ändern können. Ich habe viel von Aurelia und ihrem Weg, ihrer Konsequenz und den letztlich für sie positiven Ergebnissen gelernt. Es geht ihr heute gut, doch es ist ein langer Prozess sich aus einer Beherrschung, Dominanz und Abhängigkeit zu lösen und die Verantwortung für seine eigene Freiheit zu übernehmen.
Freiheit ist für jeden Menschen vermutlich verschieden definiert, jedoch ist es gut den Begriff dieses Wertes für sich selber genau zu definieren, um ihn auch mitteilen zu können und sich damit verständlich zu machen.
Freiheit ist in diesen Zeiten ein viel diskutierter Wert und er ist gerade in sehr vielen Bereichen gefährdet.
Ich bin sehr dankbar, dass ich in der Schweiz aufwachsen konnte mit einer direkten Demokratie und in einem Umfeld welches die Freiheit sehr hoch schätzte. Ich realisiere jedoch, dass wenn man so selbstverständlich frei aufwächst und in diesem Überfluss, den wir in der westlichen Welt so oft haben, dass man dann oft vergisst, was es heisst, dass man in so unglaublich vielen Ländern seine Meinung nicht frei äussern kann, sich nicht frei bewegen kann, auf Minimum beschränkt ist, sich der Macht unterordnen muss und absichern muss und besonders als Frau eingeschränkt leben muss. Das geht immer einher mit einer Einschränkung der Entwicklung und der Bildung.
Ich finde man kann Freiheit leben und tolerant, respektvoll und an Lösungen interessiert sein, ohne extrem, radikal und destruktiv zu sein.
Ich glaube wenn man als Kind lernt seine Meinung freundlich und klar zu sagen, dies ein guter Anfang ist, in Freiheit zu wachsen. Auch muss ein Kind oder Partner immer Fragen stellen dürfen, auch wenn diese ganz unbequem sind. Um zu verstehen und seine Meinung formen zu können muss ich Fragen stellen. Ich glaube auch, dass es wichtig ist, dass Kinder eine Meinung haben können und darin stark sein dürfen ohne deshalb die Liebe der Eltern oder Geschwister verlieren oder verurteilt werden. Natürlich und wichtig ist es für mich auch, dass Eltern Grenzen setzen und die klar erklären und einhalten. Auch das gehört zur Demokratie. Dazu gehört es auch, die Konsequenzen anderer Meinungen zu akzeptieren zu respektieren ohne sie zu werten. Das ist dann schon hohe Schule der Demokratie, jedoch sinnvoll und wichtig zu lernen.
Es kann wichtig sein, sich als junger Erwachsener seine Umgebung so zu suchen und zu wählen, dass man lernen kann, sich entwickeln kann und sich mit seinen Erfahrungen zu „seinem” tollen Menschen entfalten kann. Dazu sind oft viele Stationen nötig und es ist wichtig davor keine Angst zu haben. Mensch zu werden, Erwachsen zu werden ist eine Kunst und gleichzeitig etwas, was selten ohne Frust und Schmerz einher geht.
Und was hat es mit dem Alter zu tun?
Im Alter wird der Wert „Freiheit” noch einmal ganz aktuell, z.B. wenn wir in Pension gehen. Wir denken oft, dass jetzt die grosse Freiheit kommt, wenn wir aus der Routine des vorgeschriebenen Tagesablaufs heraus sind, wenn das Sorgen für die Kinder weniger wird und die Rente akzeptabel fliesst. Das kann Freiheit bedeuten, ist zu oft jedoch eine Falle, wenn wir nicht vorbereitet sind. Nach einer Weile drängt sich die Sinnhaftigkeit auf und wir wissen nicht so recht, was mit uns in dieser neuen Freiheit anfangen. Wir suchen Aufgaben, wir reisen, lenken uns ab und denken uns Zukunft aus, die vielleicht nicht wirklich machbar ist, weil sie nicht in das Ganze eingebettet ist. Manchmal kommen wir aus einer Generation, einer Umgebung oder Prägung, die uns auch im Alter noch immer einengt und uns den Umgang mit Freiheit nicht einfach macht. Wo wir vieles davon nicht gelernt haben und dadurch das Alter nicht wirklich vorbereitet haben. In Diktaturen z.B. ist es oft schwer sich wirklich frei zu entwickeln, weil auch die Eltern schon hörig erzogen worden sind. Gerade in Deutschland haben wir gelernt, wie schwer es ist, die beiden Teile von Deutschland zusammen zu führen. Die verschiedenen Denkweisen. Lebenskonzepte und Erfahrungen waren ohne Schulung und Training schwer zusammenzufügen und sind es heute noch.
Wenn ich zurück zum Anfang gehe und zu Schwester Aurelia, dann ist es manchmal nötig, verstehen zu lernen, was mich dominiert und wo ich mich zu sehr unterordnen muss, damit ich mich noch weiterentwickeln kann - eben auch im Alter.. Auch der Glaube kann zum Diktat werden.
Ich möchte sie mit diesen Gedanken und Erzählungen aufmuntern nachzudenken, wo ihre versteckten Besetzungen und Unterdrückungen sind. Wo sie sich dominiert fühlen, zu eingeschränkt und zu angepasst - einfach nicht frei genug um mutig zu sein. Neugierig sein können, neues zu lernen und trotz Alter neue Wege zu wagen und sein Feld zu erweitern, das ist jetzt so wichtig. Das erfordert Reflektion, Gespräch, Unterstützung und sicher einen Lebensplan, ein Wegweiser für den Rest des Lebens. Was will ich mit mir noch erleben und wie will ich die Welt einmal, verlassen, das ist die Frage hier?
Freiheit hat selbstverständlich einen Preis. Man muss vielleicht die alten, ausgetretenen Schuhe entsorgen, den Sessel mit der Delle in der Mitte verlassen, die Weite wieder lernen zu sehen und Konzepte entwickeln, wie wir mit Mut und Freude unsere Ziele und Visionen erreichen können - eben auch oder gerade im Alter. Nur das hält uns lebendig.
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