Warum ich gerne Schweizerin bleibe! 3. Beitrag

Veröffentlicht am 22. Januar 2025 um 21:47

Hallo und guten Tag,

ich werde oft gefragt, warum ich in Frankreich lebe und warum ich Schweizerin bleibe.

Dass ich mich entschlossen habe in Frankreich zu leben, hat den Grund, dass ich hier in Frankreich ein Ferienhaus hatte und mir nach vielen Auslandaufenthalte kein Leben in einer Stadt vorstellen konnte. Meine Bezugs-Städte in der Schweiz sind Zürich und Schaffhausen und da könnte ich mir ein Haus mit Garten nicht leisten, vermutlich auch keine Wohnung. Die Schweiz ist teuer und gut, wenn man das Geld auch dort verdient. Meine Art zu leben ist da leider nicht möglich für mich. Das Land ist klein und eng geworden und Boden kaum bezahlbar. Wenn ich dort zu besuch bin, fühle ich mich ein wenig wie in der Puppenstube.

Dennoch ich liebe es als Schweizerin geboren zu sein und meine Familie und ich haben der Schweiz viel zu verdanken. Auch dass ich meine drei Kinder in der Schweiz gross ziehen konnte, empfinde ich als grosses Glück. Sie konnten in gute Schulen gehen, studieren oder eine Lehre machen und ich fühlte mich als Alleinerziehende gut unterstützt. Ich konnte selbständig arbeiten in meiner Praxis in Schaffhausen und rund um die Schulzeiten der Kinder tanzen. Das war in meiner Zeit wichtig denn in der Schweiz assen die Kinder damals noch zu Hause und es gab noch keine Tagesschulen. 

Meine Tschechischen Grosseltern wurden ohne Wenn und Aber eingebürgert, als sie in die Schweiz kamen und der Einbürgerungs-Beamte meinte: Solche Leute nehmen wir gerne in unserem Land auf. Mein Grossvater strotzte vor Stolz. Mein Vater war durch und durch Schweizer und stammte aus einer alten Eisenbahner-Familie. Für ein so freiheitsliebender Mann, war es einfach gut in der Schweiz zu leben. Als er seine Frau den Eltern vorstellt, waren die zuerst nicht begeistert - eine Ausländern? Ja, eine schweizerische Tschechin, meinte mein Vater. Wir brauchen Blutauffrischung in der Schweiz und ich liebe sie!

Und damit kommen wir zu der "Direkten Demokratie" in der Schweiz - ein Segen wie ich finde. Gerade übernehmen Uruguay und Costa Rica das Modell. Vielleicht ist es besonders attraktiv für kleine Länder?  Auch besonders interessant für ein Land, was eine gut gebildete Bevölkerung will. Das hat auch mit unserer Tradition der Bildung zu tun, die in der Schweiz für jeden möglich ist. Pestalozzi lässt grüssen. Eine "Direkte Demokratie" verlangt auch etwas von den Bürgern, nämlich die Abstimmungen und das Engagement dafür. Ich kann nur abstimmen, wenn ich mich auch um die Sache kümmere, die Themen lese und mir eine  Meinung bilde. Wir sind jedoch auch als Auslandschweizer gut eingebunden in diesem Land und können auch Initiativen ergreifen.Wir werden gut informiert und top unterstützt von unseren Konsulaten und Botschaften! Stimmen wir nicht ab, bezahlen wir oder müssen uns abmelden. Ich finde das System mit dem vermehrten Mitspracherecht und des AHV-Systems sehr fair und stabil. Ich finde es sehr spannend, mit Frankreich zu vergleichen. In Frankreich, wo ich jetzt schon fast zehn Jahre lebe,  sind sehr viele Menschen unbeteiligt und uninteressiert. (Ich bin gerade daran herauszufinden, was die wirklichen Gründe dafür sind). Die Menschen hier treten vor allem auf, wenn es darum geht, gegen etwas zu demonstrieren. Doch Politiker haben in Frankreich einen völlig anderen Hintergrund als in der Schweiz und die Elite ist ein Urgestein und schwer zu durchdringen. Ich habe nirgends so viel Menschen in "Chômage", Arbeitslosigkeit gesehen, wie in Frankreich und das oft jahrelang. Vielleicht ist das eine Art von Protest - ich finde es sehr unfair! Ich verstehe nicht genau, mit welchen Hintertürchen sie das so lange tun können, aber sie tun es, und das recht selbstverständlich. Ich staune immer wieder, weil die Franzosen ja schon viel weniger Stunden und Jahre arbeiten als die Schweizer. Aber das wollen sie so - vorläufig -  und das muss man akzeptieren wenn man hier lebt.

Ich fühlte mich in der Schweiz immer sehr sicher, auch als Alleinerziehende wurde ich gut getragen. Ich wusste, dass wenn es einmal nicht mehr reichen würde und die Zeiten schwieriger würden, ich Unterstützung bekommen könnte. Gott sei Dank war ich nie arbeitslos, konnte auch meine Zweit-Ausbildungen alle selber bezahlen. Wir lebten immer an sehr schönen Orten zur Miete und die Schulen sind gut, gratis und für jedermann. Meine Kinder konnten alle ein Instrument lernen, Judo, Chor und Reiten war möglich und auch Ferien waren immer selbstverständlich.  Nur ansparen war für mich natürlich nicht drin, aber dennoch war es eine gelungene Sache und das liegt auch am Staat Schweiz, dem Bildungssystem und den fairen Möglichkeiten. 

Sicher gibt es auch schwierige Themen in der Schweiz. Ich finde z.B. dass wenn man ein neutraler Staat sein will,  man nicht  Waffen produziert und diese in Kriegsgebiete exportiert!  Das ist Doppelbödig für mich. Was die Banken anbelangt, hängt das auch mit unserem System zusammen, was den Reichtum der Welt anzieht, der in der Schweiz  deponiert wird. Ui, das ist ein schwieriges Thema, da schweig ich noch ein Bisschen oder eigne mir noch mehr Wissen an.

Seit 2013 ist die Armut stabil in der Schweiz - immerhin, das ist doch eine Errungenschaft. Ach ja und ab diesem Jahr bekommen die Rentner einen 13 Monatslohn, wie die Arbeitenden. Dafür haben die Schweizer mehrheitlich abgestimmt - DANKE!. 

Ich könnte z.B. ohne Problem in die Schweiz zurück und würde Sozialhilfe erhalten, weil meine Rente in der teuren Schweiz nicht zum leben reichen würde. Darüber müsste ich mir keine Sorgen machen. Doch wer will schon von Sozialgeld leben und abhängig sein? Ich bin anders erzogen und solange es hier in Frankreich mit meiner Schweizer-Rente geht, ist meine Welt ok. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich so viele andere Länder und Verhältnisse kenne und weiss, dass ich trotz meiner sehr kleiner Schweizer-Rente ein akzeptables Leben hier führen kann. Es ist eine Sache der Werte die ich leben will und in was genau ich das Glück suche.

Ich singe übrigens in zwei Chören, tanze gelegentlich in der Line-Dance-Gruppe mit, schreibe an meinem zweiten Buch über Adoption und versuche mich, in der Gemeinde einzubringen. Das machte es mir möglich, recht bald eine gute Alltags-Sprache zu beherrschen. Ich lebe nicht, wie ich das von Spanien kenne, in den Expat-Schweizer-Gruppen. Meine Freunde und Bekannten hier sind Franzosen und das finde ich ganz wichtig - denn - wie so oft in meinem Leben - will ich ja dazugehören. Ich habe das Glück meine alten Freunde aus der Schweiz, aus Spanien und der ganzen Welt behalten zu dürfen. Das ist sicher auch dem Internet zu verdanken! 

Die Welt ist zu Komplex für einfache Antworten, denke ich oft, wenn ich zu so vielen Themen gefragt  werde.  Wir sollten vor allem von einander lernen. Die Vielfalt von Europa ist so faszinierend, lebenswert und schützenswert. Doch Europa hat etwas lange geschlafen und den Rausch des "Gutgehens" genossen. Jetzt schrecken alle auf und versuchen nachzuholen. Die Folgen sind etwas beängstigen, jedoch hoffe ich, dass der Weckruf der Rechten etwas bewirkt und wir wieder an unseren Demokratien arbeiten und sie stabil halten.

Grundsätzlich hat sich der Charakter der Schweizer, während und nach dem Krieg stark geformt. Es ist die Besonnenheit, das lösungsorientierte Denken und trotz allem Reichtum, die soziale Fairness, die mich begeistert!

Etwas Interessantes zum Thema Lösungen finden: Die Schweizer waren z.B.in der Lage einen neuen Kanton zu gründen, als die Jurassier sich nicht mehr wohl fühlten in der Schwei. Eingeklemmt zwischen dem deutschsprachigen Bern und den französischen Kantonen wollten sie zu Frankreich gehören! Oh nein, meinten die Helvetier!  So ein Verlust konnte sich die kleine Schweiz nicht leisten und suchte nach Lösungen. Obwohl die Gegend als das Armenhaus der Schweiz galt, wollte man den Jura auf jeden Fall behalten. Viele Verhandlungen und Vorschläge mit den Schweizer Jurassier halfen schliesslich. Die Schweiz schlug vor, einen neuen Kanton zu bilden, mit eigener Kantons-Regierung. Das half und der Kanton Jura ist heute einer der reichsten Kantone geworden. Die Uhren- und Chip-Industrie hat sich dort niedergelassen, es gab genügend Personal im Jura und am 24. September 1978:  befand das Schweizer Volk, das heisst alle Kantone, per Abstimmung, 82,3%, dass der Kanton Jura eine gute Lösung sei und sie "Ja" zur Gründung des neuen Kantons Jura sagen konnten. Dies, indem sie einer diesbezüglichen Änderung der Bundesverfassung zustimmten, und damit dessen Schritt in die Souveränität am 1. Januar 1979 ermöglichten. Ich finde das eine bemerkenswerte Leistung! Es war eine echte Lösung, kein fauler Kompromiss.

Doch auch die Schweiz ist angreifbar von den Grossmächten und als Insel in Europe. Die Banken können nicht alles retten. Die fetten Jahre sind auch in der Schweiz gegeben, das wissen alle und arbeiten z.B. mehr als man in der EU arbeitet. Wir sind jedoch eng angebunden an die EU, wollen aber immer Eigenständig und Neutral bleiben. Das ist schon immer das Wichtigste für das Schweizervolk, eigentlich seit Wilhelm Tell! Hoffen wir, dass das so bleiben darf. Natürlich haben wir auch dunkle Kapitel der alten, vergangenen Zeiten, wie z.B.das Nazigold, das wir im Krieg horteten, die Verding-Kinder der Kriegsjahre und davor, die Beteiligung am Sklavenhandel durch Hintertürchen und die schreckliche Armut nach dem ersten Weltkrieg mit der Auswanderungswelle sehr vielen Schweizer, die  über den grossen Teich in neue Welten flohen. Wir mussten viel tun, dieses Image zu verbessern oder  zu heilen und vor allem zu klären und aufzuarbeiten. Doch das ist geschehen und geschieht noch immer.

So viel zu meiner Schweizer Bürgerschaft. Herzlich Norah

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